Stein, dieser Grundbaustein unserer Welt, ist für mich ein Organismus, der sich in unsichtbaren und unendlich langen Zeiträumen bewegt, entfaltet und wieder erstirbt. In geologischen Formationen können wir die eingefrorene Bewegung ebenso sehen wie in der Struktur einzelner Steine.
Stein ist nicht einfach Material, mithilfe dessen ich etwas erschaffe. Ich möchte sein „Wesen“ zum Ausdruck bringen, wie in meinem Beruf als Psychotherapeut, in dem es mir nicht nur darum geht, mit Menschen Erlittenes zu verarbeiten, sondern ihnen zu helfen, die zu werden, die sie „wirklich“ sind.
Die Arbeit als Bildhauer ist für mich, wie jede kulturelle Tätigkeit, eine Beschäftigung mit den Möglichkeiten des Menschseins. Und das ist untrennbar mit dem Thema der Evolution verbunden.
Seit über 40 Jahren beschäftige ich mich mit der Evolution der Steine, Pflanzen, Tiere und Menschen, aber auch der des Geistes und Bewusstseins, der menschlichen Kultur und Kunst. Die ständige Entfaltung des Lebens in all seinen Erscheinungen, der unendliche Prozess des Werdens und Vergehens unserer inneren und äußeren Welt, erzeugt in mir immer wieder Staunen, Faszination und zugleich eine tiefe Demut.
Als Psychotherapeut begleite ich seit Jahrzehnten Menschen in ihrer Evolution. Diese Arbeit spielt sich, ähnlich wie die Entfaltung unseres Kosmos, im Spannungsfeld „Zeugung, Geburt, Werden, Entfaltung, Reifung und Vergehen“ ab. Dazu berührt sie Themen wie erlittene Verwundungen und ihre Überwindung, Mythen und Rätselhaftes, die Heilung durch ein Du, die Frage nach unserem Platz in dieser Welt, den Wunsch nach Autonomie und Verbundenheit, nach Aufbruch, Erkenntnis, Fruchtbarkeit und Selbstausdruck. Das Ziel ist, ein sinnerfülltes, eigenständiges, schöpferisches Leben zu entwickeln. Und das von den Anfängen im Mutterleib bis „hin zu den Sternen“.
Vieles davon findet sich in meiner künstlerischen Arbeit. Der Stein oszilliert mit meiner inneren Welt: so versuche ich, selbst in ständiger Evolution, mich diesem wunderbaren Thema immer neu anzunähern. Mein Fokus ist es, die Evolution im Stein mit seiner jahrmillionenalten, eingefrorenen Bewegung sichtbar zu machen, aber auch die verschiedenen Formen des Lebens mithilfe des Mediums Stein künstlerisch zu interpretieren, von den frühesten Lebensformen bis zum Menschen in seiner Ausgesetztheit, Verletztheit und Suche, aber auch seiner Fähigkeit zur Bewältigung und Weiterentwicklung, in seinem Mut, seiner Würde, Anmut und Schönheit, seiner Weiblichkeit und Männlichkeit und seiner immanenten Androgynität. Das wiederum bezieht das Rätselhafte mit ein, das Magische, Mythische und Verrückte, den großen Raum von Fantasie und Vision.
Kunst und Therapie befruchten sich wechselseitig. Kunst als Lebensentwurf. In beiden ist das Prinzip der Evolution enthalten: ständige Weiterentwicklung. Ich bin überzeugt davon, dass es in unserer immer komplexer werdenden, höchst herausfordernden, vielfach „entzauberten“ Welt nicht allein darum gehen kann, die „Dramen“ des Status quo zu thematisieren, sondern auch der Zuversicht, dem Aufbruch und den Möglichkeiten der Verwandlung, also – um mit Morris Berman zu sprechen – der Vision von der „Wiederverzauberung der Welt“ künstlerischen Ausdruck zu verleihen.